Als der schmächtige Schnauzbart-Träger mit der merkwürdigen Brille und dem übergrossen Jackett auf die Bühne kommt, herrscht kurzzeitig betretenes Schweigen. Zu seltsam mutet sein Auftritt an; zu wenig Pop strahlt er aus. Doch was der unbekannte Teilnehmer beim dritten Nachwuchs-Festival der „Deutschen Phono-Akademie“ zum Besten gibt, überzeugt Publikum und Jury gleichermaßen: Heinz Rudolf Kunze wird mit seinem überlangen Lied „Bestandsaufnahme“ zum heimlichen Star der Veranstaltung – und unterschreibt kurz darauf einen Fünfjahresvertrag bei der deutschen Plattenfirma WEA.
Vom Nachwuchstalent zum selbstkritischen Vielschreiber
Das alles liegt rund 40 Jahre zurück und aus dem etwas linkisch wirkenden Philosophie-Studenten ist längst ein gestandener Mann geworden. Geblieben sind die kritische Sicht auf gesellschaftliche Prozesse, der Mut Missstände anzuzeigen und die Brillanz dementsprechender Formulierungen. Sie haben Heinz Rudolf Kunze Bezeichnungen wie Niedermacher oder Professor Deutschrock eingebracht. Spitznamen, die er gar nicht gern hört – ganz einfach, weil er keine Spitznamen mag.
Dabei ist er durchaus im Stande, sie mit Humor zu nehmen: Den Terminus „Brille“ hat er kurzerhand zum Titel eines Albums gemacht, auf dem er vielfach mit sich selbst abrechnete. Ein Konzept, das Heinz Rudolf Kunze auch auf nachfolgenden Tonträgern weiter verfolgte. Nicht immer zum Gefallen seiner Hörer/-innen und manchmal auch unzufrieden mit sich selbst. Am 1997er Werk „Alter Ego“ übt Kunze heute die schärfste Kritik an Kunze.
Botschaften, die ins Ohr gehen
Und doch hat ihm ausgerechnet dieser Tonträger eine neue Fan-Gemeinde beschert, denn er enthält den Titel „Du bist nicht allein“ – ein Song, der so schlagerartig wirkt wie kaum einer zuvor und der überdurchschnittlich oft auf Hochzeitsfeiern. Seine Popularität wurde durch die 2015 folgende Cover-Version von Reinhard Mey noch gesteigert; erreichte jedoch nie den Status des thematisch verwandten Hits „Dein ist mein ganzes Herz“.
Das mag daran liegen, dass Heinz Rudolf Kunze gleich einen passenden Konter-Song mitlieferte: In der Playlist von „Alter Ego“ folgt dem gesungenen Treue-Schwur die trotzige Forderung „Gib den Ring wieder her“ – ein Lied, das trotz seines Ohrwurm-Charakters ziemlich deprimierend wirkt. Doch genau das macht einen großen Teil des Kunze’schen Schaffens aus: Botschaften so zu senden, dass sie hängen bleiben – ganz gleich, wie unangenehm oder unbequem sie sind.
Manche von ihnen erreichen ihr Ziel erst über Umwege oder im zweiten Anlauf. Das düster-anklagende „Kadaverstern“ oder das beißend-sarkastische „Madagaskar“ bleiben so lange unverstanden, bis Hörer/-innen sich den Hintergrund der Texte erschließen. Und mitunter denkt Heinz Rudolf Kunze so weit voraus, dass ein Lied gewisse Zeit braucht, ehe es seine Brisanz entfaltet. Als „Aller Herren Länder“ die Radio-Stationen überflutete, wurde es vor allem wegen seiner Melodie geschätzt; heute gehört es zum musikalischen Pflichtpunkt jeder Flüchtlings- und Antirassismus-Veranstaltung.
Vielbeschäftigtes Multitalent
Beispiele wie diese zeigen, wie viel Heinz Rudolf Kunze zu sagen hat – und das ist deutlich mehr als in die Lieder der jährlich erscheinenden Alben passt. Aus diesem Grund betreibt er mehrere parallel laufende Projekte wie die Akustik-Auftritte im „Räuberzivil“ oder die Zusammenarbeit mit dem singenden „Prinzen“ Tobias Künzel.
Darüber hinaus dichtet oder komponiert Heinz Rudolf Kunze für andere Künstler/-innen, überträgt fremdsprachige Texte ins Deutsche oder umgekehrt und unterrichtet im Studiengang Popularmusik an der Hochschule seiner Heimatstadt Osnabrück. Gelegentlich ist er auch in Fernsehshows oder in kleinen Film- und Serienrollen zu sehen. Außerdem veröffentlicht Kunze in unregelmäßigen Abständen Bücher, aus denen er in Theatern, Kirchen und auf Kleinkunstbühnen liest.
Pur und unverfälscht: Kunze auf Solo-Tour
Am liebsten aber macht er das, was er am besten kann: Kluge Texte mit Melodien unterlegen und vor einem begeistert wippenden Publikum vortragen. Unter dem Motto „Heinz Rudolf Kunze – Wie der Name schon sagt“ tourt er seit Anfang Juni durch Deutschland und nimmt seine Gäste mit auf eine Reise durch rund 40 Jahre Wortkunst. Auf den Bühnen der Republik gibt es nicht viel mehr zu sehen als damals, als alles begann: einen Mann mit Gitarre und dominanter Brille.
Doch anders als einst hat er nicht nur einen Song im Gepäck, sondern eine ganze Auswahl aus vier Jahrzehnten. Ergänzt werden sie um kleine Anekdoten und gewohnt feingeistige Gedichte, die Kunze speziell für das Solo-Programm herausgesucht hat. Die bekannte „Verstärkung“ bleibt zu Hause; sie begleitet den Wort-Meister nur bei einem Auftritt der gesamten Tour.
Alle Termine für „Heinz Rudolf Kunze – Wie der Name schon sagt“ gibt es hier:
- 01.06.2019 Helmstedt
- 12.06.2019 Brilon
- 19.06.2019 Badbergen
- 20.06.2019 Sehnde
- 21.06.2019 Elmshorn
- 21.07.2019 Festung Königstein Open Air bei Dresden (mit Band)
- 02.08.2019 Senftenberg
- 27.09.2019 Meppen
- 28.09.2019 Bonn
- 29.09.2019 Neuruppin
- 10.10.2019 Buchholz
- 12.10.2019 Glauchau
- 26.10.2019 Oldenburg
- 01.11.2019 Falkensee
- 02.11.2019 Neuenhagen
- 07.11.2019 Ritterhude
- 08.11.2019 Schwedt
- 09.11.2019 Ahrensburg
- 10.11.2019 Neumünster
- 06.12.2019 Weißenfels
- 20.12.2019 St. Wedel